Reiterdenkmal
Ein Reiterstandbild bzw. Reiterdenkmal ist die Darstellung eines Herrschers auf einem Pferd. Das Reiterdenkmal war in der Antike verbreitet, wurde aber im Mittelalter aus der Kunstwelt verdrängt. Erst in der Renaissance erlebte das Reiterstandbild seine Wiederentdeckung.
Bedeutende Reiterdenkmäler der Renaissance sind: Donatellos Reiterstandbild des Gattamelata in Padua, Verrocchios Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni in Venedig oder das Reiterstandbild des Cosimo de’ Medici von Giambologna. Das Sforza-Pferd von Leonardo da Vinci wurde zwar in Auftrag gegeben, aber nie vollendet.
Inhalt
Nur ein Reiterdenkmal überlebte bis in die Neuzeit
In der Antike gab es im römischen Reich zahlreiche Reiterdenkmäler aus Bronze. Allerdings wurden diese eingeschmolzen, um die Legierung zur Herstellung von Münzen und Kirchenglocken zu verwenden. Im christlichen Mittelalter war die Darstellung von reitenden Herrschern derart verpönt, dass es einen Bildersturm (Reitersturm) auf alle kolossalen Denkmäler gab.
Doch ein Reiterdenkmal überlebte bis in die Renaissance. Und zwar das Reiterdenkmal des Marc Aurel, welches in Rom im 2. Jahrhundert n.Chr. konstruiert wurde. Die Bronzeplastik schaffte den Sprung in die Neuzeit allerdings nur aufgrund einer Verwechslung. Denn man glaubte im Frühmittelalter, dass es sich bei dem Reiter nicht um Marc Aurel (römischer Kaiser, Philosoph) handele, sondern um Konstantin den Großen. Dieser war zwar auch Kaiser des römischen Reiches, aber auch derjenige – welcher das Christentum im Jahr 380 zur Staatsreligion erklärte.
Durch die Konstantinische Wende (4. Jahrhundert) konnte sich das Christentum ausbreiten und zur Weltreligion aufsteigen. Die Zerstörung des konstantinischen Denkmals wäre für die Christen eine Form von Heiligenzerstörung gewesen, weshalb das Reiterbildnis des Marc Aurel überlebte.
Die originale Reiterstatue von Marc Aurel befindet sich heute im Hof des Konservatorenpalastes der Kapitolinischen Museen in Rom. Ein zweites Reiterbild existierte noch zur Zeit der Renaissance. Und zwar in Pavia. Dort stand die Figur eines römischen Kaisers, wohlmöglich Marc Aurel oder Septimius Severus. Doch dieses Denkmal wurde während der Napoleonkriege im Jahr 1796 von französischen Soldaten zerstört.
Wiederentdeckung des Reiterdenkmals
Die Wiederentdeckung des Reiterdenkmals geschah durch Paolo Uccello. Inspiriert wurde er allerdings von einem Briten.
Wie?
Während der italienischen Renaissance kam es zu verschiedenen Kriegen zwischen den italienischen Stadtstaaten. Anders als heute gab es keinen Nationalstaat und auch keine Nationalarmee. Stattdessen boten verschiedene Söldnerführer, Condottiere genannt, ihre Dienste mal für den einen Stadtstaat und mal für den anderen Staat an.
Einer dieser Condottieri war der Brite John Hawkwood. Im Krieg zwischen Mailand und Florenz zeichnete sich Hawkwood durch sein besonderes militärisches Geschick aus. Dadurch war es für Florenz möglich, einer Mailänder Übernahme zu entgehen und 1392 einen passablen Friedensvertrag auszuhandeln.
Die Florentiner belohnten den Briten mit Geldgeschenken, dem Bürgerrecht der Stadt und lebenslanger Steuerfreiheit. Als John Hawkwood dann am 16. März 1394 in Florenz starb, stiftete die Stadt ihm zu Ehren ein Fresko im Florentiner Dom (Santa Maria del Fiore). Gemalt wurde dies 1436 von Paolo Uccello.
Reiterdenkmäler der Renaissance
Durch die humanistischen Ideen, welche in der Renaissance verbreitet worden, stieg das Selbstbewusstsein der Menschen. Das Individuum wurde wiederentdeckt und sollte durch die Kunst entsprechend präsentiert werden. Das Reiterdenkmal war ein würdiges Abbild dieser Gedanken. Und so wurden im 15. Jahrhundert zahlreiche Reiterdenkmäler konstruiert, sowohl in der Malerei als auch in der Bildhauerei.
Vorreiter dieser Neuentdeckung war Paolo Uccellos Hawkwood-Fresko. Demnach hatte der Maler das Reiterdenkmal wieder in die Kunstwelt eingeführt.
In der Bearbeitung des Reliefs setzte Donatello eine neue Technik ein, welche als Rilievo schiacciato bezeichnet wurde. Das erste Reliefbild war „Der Heilige Georg kämpft mit dem Drachen“, welches 1417 mit dieser Technik konstruiert wurde. Abgebildet war der Heilige Georg als Reiterfigur. Zwar war das Reliefbild kein Standbild, dennoch zeigt es eindrucksvoll, welche Wirkung von einem Reiter ausging.
Die Ausführung eines lebensgroßen Reiters und Pferdes wurde technisch allerdings erst Mitte des 15. Jahrhunderts möglich. Zwar das Wachsausschmelzverfahren, mit welchem sämtliche Plastiken der Renaissance erschaffen wurden, schon im Mittelalter bekannt – aber es fehlte die technische Innovation in der Gusstechnik.
In der Malerei griff Paolo Uccello den Heiligen Georg als Reiterfigur erneut auf und schuf das Gemälde: Der Heilige Georg und der Drache (etwa 1460).
Neu war zudem, dass im Mittelalter nur verdiente Herrscher oder Heilige als Individuum dargestellt worden. Durch den humanistischen Geist wurde es möglich, dass auch verdiente Heerführer, bedeutende Bürger oder Adlige denkmalwürdig worden. Demnach entstanden Reiterstandbilder von Bürgern, welche sich in kaiserlicher Tradition verewigen lassen wollten.
Bildhauerei
Denkmäler, welche einen kompletten Platz dekorieren, galten bei den Bildhauern als höchste Kunstgattung. Dementsprechend war dieses Metier umkämpft. Zwei der wichtigsten Bildhauer der Frührenaissance waren Donatello und Andrea del Verrocchio. Erstere schuf ein Reiterdenkmal in Padua – zu Ehren des Söldnerführers Gattamelata (1446-50).
Das Gattamelata-Reiterstandbild wurde zum ersten öffentlichen Denkmal der Neuzeit. Eindrucksvoll zeigt Donatello, die Macht und Stärke – welche vom Söldnerführer ausgeht. Das Pferd wurde in anatomischer Genauigkeit gefertigt, strotzt vor Kraft und überträgt diese Eigenschaft auf seinen Reiter. (siehe auch Hauptartikel: Gattamelata-Reiterstandbild von Donatello)
Etwa 30 Jahre später griff Verrochio das Reiterthema erneut auf und schuf in Venedig das Reiterdenkmal des Bartolomeo Colleoni, welcher ebenfalls ein Söldnerführer war. Die Figur entstand zwischen 1480 und 1488. Als dann Verrochio 1488 in Venedig starb, war die Figur noch nicht in Bronze gegossen. Dies geschah erst 1492 durch Alessandro Leopardi. (siehe auch Hauptartikel: Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni)
Ein weiteres bedeutendes Reiterdenkmal der Renaissance befindet sich in Florenz. Erschaffen wurde die Figur von Giovanni da Bologna (kurz: Giambologna) während der Spätrenaissance, etwa zwischen 1587 und 1594. Abgebildet ist Cosimo de Medici. Ausgestellt wird die Figur auf dem Piazza della Signoria in Florenz. Mit der Reiterfigur traten auch die Medici in die Tradition der kaiserlicher Reiterdarstellung ein.
Sforza-Pferd
In Mailand arbeitete Leonardo da Vinci zwischen 1481 und 1499 am Hofe der Sforza. Er war als Hofkünstler angestellt. Und natürlich wollte Francesco Sforza sich ebenfalls in kaiserlicher Manier präsentieren. Den Auftrag zum Reiterstandbild erhielt Leonardo im Jahr 1488.
Insgesamt 16 Jahre widmete er sich dem Studium der Anatomie von Pferden und Reiter. Das Reiterstandbild sollte das bedeutendste Denkmal der damaligen Zeit werden.
Nach sieben Jahren bereitete Leonardo nach Drängen seines Auftraggebers ein Reiterstandbildmodell in Ton vor. Dieses sollte anlässlich der Hochzeit zwischen Ludovico Sforza und Beatrice d’Este vorgeführt werden. Im letzten Moment aber war Leonardo mit seiner Arbeit nicht zufrieden und begann von vorne.
Die Anatomie der Pferde sollte ihn sein ganzes Leben lang beschäftigen. Das Reiterstandbild für Francesco Sforza wurde aber niemals fertiggestellt.
Um Leonardos Werk zu vollenden, begann 1977 der US-amerikanische Pilot und Kunstmäzene Charles Dent eine Sammelaktion. Sein Ziel war es, so viel Geld zu sammeln – um das Sforza-Pferd nachträglich bauen zu lassen. Zum Zeitpunkt seines Todes (1994) hatte Dent bereits 6 Millionen US-Dollar Spendengelder sammeln können.
Das Erbe Dents floss in die Stiftung „Leonardo Da Vinci’s Horse“, welche von seinen Söhnen betrieben wurde. Diese beauftragten die amerikanische Bildhauerin Nina Akumu. Die Bildhauerin fertigte ein Tonmodell nach Leonardos Grundplänen an. Gegossen wurde es in der „Tallix Art Foundry“ in New York.
Im Jahr 1999 wurde das Leonardo-Pferd in Mailand aufgestellt. Es misst 7,2 Meter und wiegt 15 Tonnen. Heute steht es vor dem Hippodrom San Siro.
Im Jahr 2001 wurde ein weiteres Replik von Nina Akumus Projekt auf der Piazza della Libertà in Vinci (Toskana, Geburtsort da Vincis) aufgestellt.