Figura serpentinata
Als Figura serpentinata (italienisch: serpentinato = schlangenförmig) bezeichnet man ein Stilmittel in der Kunst, bei dem Figuren langgezogen, gewunden bzw. schlangenförmig dargestellt werden. Dieses Stilmittel war bereits in der Antike bekannt und wurde in der Renaissance wiederentdeckt. In der Spätrenaissance entwickelte sich daraus ein neuer Stil, welcher als Serpentita-Stil oder Serpentina- Stil bekannt wurde.
Inhalt
Wiederentdeckung der Figura serpentinata
Zu Beginn der Frührenaissance folgte sowohl die Bildhauerei als auch die Malerei dem Ideal, ihre Figuren möglichst reell abzubilden.
Um Raumtiefe zu erreichen, setzte man insbesondere in der Malerei und in der Relieftechnik auf die Zentralperspektive (ab 1420). Auch diese Perspektivtechnik war in der Antike bereits bekannt und wurde für die Kunstwelt wiederentdeckt.
Ein weiteres Stilmittel war der Kontrapost, welcher zunächst in Skulpturen und in der Plastik umgesetzt wurde. Um 1505 waren bereits Michelangelo (Davidstatue) und Leonardo da Vinci (Mona Lisa) zwei Meister dieser Techniken.
1506 wurde in Rom eine antike Skulpturengruppe wiederentdeckt, welche den Stil der Renaissancemalerei und der Bildhauerei nochmals ändern sollte. Diese Skulptur wird als Laokoon-Gruppe bezeichnet. Dargestellt werden der trojanischen Priester Laokoon und dessen Söhne Antiphantes und Thymbraeus dar. Die drei werden von Seeschlangen angegriffen. Beeindruckend ist der Ausdruck von Qualen, welcher sich auf ihren Gesichtern und Körpern abzeichnet.
Die Laokoon-Gruppe wurde bereits im 1. Jahrhundert v. Chr. gefertigt. Dennoch war die Darstellung der gewundenen Figuren so realistisch und so dynamisch, dass diese den Stil der Bildhauerei nachhaltig änderten.
Die Figurengruppe wurde in den Vatikanischen Museen ausgestellt. Sowohl Maler als auch Bildhauer der Renaissance besuchten die Museen, studierten den Stil und übernahmen Aspekte davon. Demnach wurde die Figura serpentinata beim Studium der Laokoon-Skulptur wiederentdeckt.
Merkmale der Figura serpentinata
Als Vorbereiter der figura serpentinata wird oft Michelangelo genannt. Seine Figuren der gewundenen Sklaven sind erste Versuche, die Figura serpentinata zu kopieren. Gefertigt wurden die Sklavenskulpturen für das Juliusgrabmal. Aufgrund von mehrfachen Projektänderungen wurden diese aber nicht im Denkmal aufgenommen.
Michelangelos Sklavenskulpturen deuten bereits Bewegung und Dynamik an. Diese beiden Eigenschaften wurden zum Ideal des Manierismus (Spätrenaissance), wodurch das Harmonie-Ideal der Hochrenaissance allmählich aufgelöst wurde.
Die Figura serpentina sollte zunächst diesem Bewegungsideal gerecht werden. Allerdings war noch weitaus mehr möglich. Denn fortan waren Bildhauer und Maler nicht mehr an die Natur, als Vorbild von Schönheit gebunden. Stattdessen war es für die Künstler fortan möglich, mit ihren Figuren zu spielen, diese umzuformen, zu überdehnen und geometrisch neu zu gestalten.
All diese Darstellungsmöglichkeiten wären in der Hochrenaissance nicht möglich gewesen. Denn das Ideal war Harmonie. Doch durch die figura serpentinata wurde die strenge Norm der Renaissancekunst aufgeweicht.
Der Serpentita-Stil wurde zur eigenen Norm. Dieser Stil sollte Dynamik mittels gewundener und langgezogener Körper darstellen. Durch die Bewegungsdarstellung war es für Künstler der Renaissance möglich, sowohl körperliche Kraftanstrengung, neue Körperlichkeit und Leidenschaft darzustellen. Und Auslöser dieser dargestellten Dynamik war nicht länger die Kraft, sondern eher die Ohnmacht und eine ausweglose Lage.
Vollendet hat den Serpentita-Stil der italienische-flämische Bildhauer Giambologna. Dieser war der bedeutendste Bildhauer der Spätrenaissance. Sein beeindruckendstes Werk ist sicherlich „Der Raub der Sabinerinnen“ (1579). Dargestellt werden drei in sich gewundene Figuren. Neben der Darstellung von Dynamik und gleichzeitiger Ohnmacht besticht das Werk weiterhin durch anatomische Genauigkeit, welche nun auf Bewegungsabläufe übertragen wurde.
Einfluss der Figura serpentinata auf die Renaissancekunst
Die anfänglichen Statuen der Renaissance folgten dem Ideal der Harmonie. Oftmals wurde, innerhalb einer Statue, nur eine Figur dargestellt. Und diese Figur strahlte eine gewisse Ruhe aus. Eine gewisse Dramatik war zwar gewollt und vorgesehen, musste sich aber dem Harmonie-Ideal unterordnen (z.B. La Pieta von Michelangelo).
Doch der Serpentinata-Stil sollte Bewegung im Auge des Betrachters erwecken. Diese dynamische Darstellung wurde durch Statuen mit mehreren Figuren erreicht. Das bedeutet: Der Eindruck von Bewegung entstand durch die Beziehung und Stellungen einzelner Figuren innerhalb einer Gruppe. Erschufen Michelangelo und Donatello noch einzelne Figuren, so setzten die Bildhauer der Spätrenaissance auf Statuen mit mindestens zwei Figuren.
Diese Figuren gingen eine gewisse Beziehung ein, wodurch die Dynamik der Handlung ablesbar wurde. Meistens war dies ein hochdramatischer Akt, bei dem eine Figur die andere Figur überwältig. Aber die Figura serpentinata reizte diese Dramatik weiter aus. Die Windungen und Stellungen der abgebildeten Figuren unterstützten sowohl Dramatik der Handlung als auch Dynamik in der Erzählweise.